Begegnung mit Madeleine

Im Januar 2017 als ich in der Ambulanz des Vinzent Palotti Krankenhaus zur Kontrolle meiner frisch operierten Hand die Wartezeit überbrücken musste, bin ziellos herumgewandert und fand mich plötzlich in der Palliativstation wieder.
Es war ein besonderer Moment voll andächtiger Stille und in mir war ein Kribbeln, dass mir immer wieder Gänsehaut machte.
Meine Gedanken fingen an zu kreisen – der Tod und alle Erfahrungen die ich bisher im Umgang mit ihm gemacht hatte schossen in schnellen Bildern durch meinen Kopf. Irgendetwas galt es hier für mich zu erfahren – irgendwo im Bereich Hospitz, der Sterbebegleitung ist eine Aufgabe für mich.
Zu dieser Zeit stand ich in meinem Leben an einem Punkt, wo ich nicht klar hatte, wie es weiter geht.
Ich kam mir vor wie eine Raupe im Kokon – mitten im Wandlungsprozess, wie Popcorn in einer heißen Pfanne – nur der Deckel ist noch drauf. So viele Ideen, Wünsche, Visionen, Potenzial und Sehnsüchte brodelten in mir.

Kurze Zeit später lernte ich Madeleine kennen.
Ich hatte mich zu einem 5 Rhythmen Tanz Workshop in Amsterdam mit dem Titel “Unfolding Your Potencial“ (Entfalte Dein Potenzial) angemeldet und hatte einen Couchsurferplatz bei Nalo, einem Teilnehmer gefunden. Madeleine war mit Nalo befreundet und auch zu dem Workshop angemeldet.

Ein Blick in die Augen
öffnet das Fenster zur Seele

So war unser erster Kontakt, wortlos, nur ein langer Blick, während Nalo uns bekannt machte. Sie strahlte eine unglaubliche Ruhe, Tiefe und Kraft aus. Da war es wieder, dieses Kribbeln innen drin, das mir Gänsehaut machte…

Am Abend saßen wir zusammen und sie erzählte:
Davon, dass sie zum zweiten Mal an Krebs erkrankt sei und gerade körperlich auf Grund der Chemotherapie sehr geschwächt sei.
Davon, dass sie so dankbar sei für jeden Moment, dass sie schon vor Jahren beim ersten Ausbruch des Krebs von den Ärzten aufgegeben wurde, ein halbes Jahr hatten sie ihr noch gegeben…und sie hatte den Krebs überwunden bis vor einem halben Jahr.
Sie erzählte von ihrer Familie, ihren Kindern und dem Mann und deren Überforderung damals und jetzt wieder.

Sie sprach mit so viel Würde und Respekt von all den traurigen und schönen Dingen des Lebens. So viel Kraft, Mut und Zuversicht im Angesicht des Todes hat mich tief beeindruckt.
Das was ich am deutlichsten erinnere war mein Gefühl der Hochachtung dieser Frau gegenüber.

Am folgenden Tag führte uns der Tanz “zufällig“ zusammen. (Zufall? – oder was mir zu fällt…)
Ich kann nicht sagen, wie lange wir zusammen getanzt haben, Zeit ist in dem Moment ein unbedeutender und unfassbarer Faktor geworden. Da war nur wieder der Blick in die Augen und direkt in unsere Seelen und diese tanzten miteinander.
Mir kamen Bilder, Visionen, Worte und Sätze, die sich wie ein Mantra wiederholten:
Seelengedenken – Seelen Gedanken
Von der Fragmentierung zum Ganzen
Erinnerungsmosaike – Was will ich hinterlassen?
Kreative Trauer Transformation – Mosaike mit Menschen, die ihrem eigenen Tod ins Auge blicken, oder jemanden zu betrauern haben

Wir tanzten die Tränen, die Freude, die Stille und das Jetzt und Hier.

Am Abend saßen wir wieder zusammen und teilten unsere Erfahrungen. Sie war sehr berührt und begeistert von dem was ich ihr erzählt habe und überzeugt davon, dass diese Mosaikidee eine wunderbare und hilfreiche Trauertransformation werden wird.

Sie hatte das Gefühl, mit mir ihren eigenen Totentanz getanzt zu haben.
Indirekt hat sie damit eine weitere Tür in mir geöffnet, aber das ist eine andere Geschichte…und die begann im Frühjahr 2018, als ich beim Ausreiten mit meinem Pony einen toten Bussard fand…

Wir hatten nach dieser einen persönlichen Begegnung nur noch telefonisch Kontakt, leider hat sie es nicht mehr zu mir in die Werkstatt geschafft, um ihr eigenes Lebensmosaik zu legen, doch sie fühlte sich geehrt, dass ich sie gefragt habe ob ich diesen Zweig meiner Arbeit nach ihr benennen darf.

Im Herbst 2018 habe ich einen lang ersehnten Wunsch umgesetzt und eine Ausbildung zur Mosaikkünstlerin begonnen.

Das Ergebnis des ersten Moduls ist Madeleine gewidmet.


Es soll meine eigene Grabplatte werden, wenn es mal so weit ist…

error: Content is protected !!
Nach oben scrollen